Weggehen, Ankommen, Sein

Anfang des Monats bin ich nach Berlin gezogen. Vorher lebte ich lange in Kassel – sehr lange. Und ich hatte zwar manchmal das Gefühl, ich müsste fort, um mich weiterzuentwickeln, aber ich habe es nicht gemacht. Ich war zwar gerne und viel unterwegs, habe Leute besucht in anderen Städten, bin auf Konzerte gefahren, war jedoch immer noch gebunden an Kassel.

Keine Frage: ich habe sehr vieles erreicht durch meine lange Zeit dort. Ich bin Bandmusiker geworden, bin durch 7 Länder der EU getourt, habe Ballett und Schauspiel ins Opernhaus auf die Bühne gebracht, studiert, gearbeitet, und vieles mehr. Dennoch war es stets ein schönes Gefühl aus der Stadt herauszufahren, und ein nicht so schönes wieder hineinzufahren.

Weggehen, Ankommen, Sein. Weggehen ist schön, Ankommen nicht. Und Sein? Niemals ernsthaft habe ich mir Gedanken über das Sein gemacht. Das Weggehen war stets etwas euphorisches, ein Aufbruch zu neuen Landen, etwas neues lernen, etwas erschaffen, Freude. Das Ankommen bezeichnete stets ein Ende, Stagnation, Pflicht. Und das Sein war lediglich das Vakuum dazwischen. Das ist nun anders.

Nach vielen Jahren habe ich gelernt, dass das Sein etwas ist, was die Wechsel zwischen Weggehen und Ankommen überhaupt ermöglicht. Das Weggehen als Beginn einer Reise, das Ankommen als Ende einer Reise, und das Sein jeweils zwischen Weggehen und Ankommen, und zwischen Ankommen und Weggehen, der Übergang zwischen sehr intensiven Momenten. Diese intensiven Momente sind jene, die Euphorie mitbringen, Trauer, Freude, Niedergeschlagenheit, und all die Emotionen, an die wir uns so gut erinnern können. Und dazwischen ist es meist still: der handwerkliche Schaffensprozess, der unsere ganze Aufmerksamkeit fordert, unser ganzes Können, und die Bereitschaft jeden Moment als Gelegenheit für Wachstum zuzulassen, ist zwischen dem Weggehen und dem Ankommen. Und das Loslassen von Vergangenem, das Hinterfragen von Gewohnheiten, das Neuorientieren, das Durchatmen, und das Wachsen durch Integration, ist zwischen dem Ankommen und dem Weggehen. Letzteres ist in der westlichen Gesellschaft viel weniger akzeptiert und gelernt, als ersteres. Doch das kann sich bald ändern.

Das ist für mich so gewesen. Gesehen habe ich häufig auch, dass das Ankommen zu etwas Euphorischem wurde, das Weggehen zu etwas Ärgerlichem. Ein Beginn, der Anstrengung verkündet, aber keine Freude, und ein Ende, welches Raum für Freude suggeriert, aber diese stets zu erzwingen versucht. Damit wird das Sein in beiden Fällen zu etwas Mühevollem, und nur der kurze Moment des Ankommens bleibt übrig für ein wenig Kindlichkeit. Insofern schätze ich mich glücklich, dass ich nun entdecke und erfahre, wie das Sein nach dem Ankommen bereichern kann, das Weggehen und das Ankommen gleich schön sein können, und das Sein zwischen Weggehen und Ankommen dadurch viel mehr Freude bereitet, und mehr Raum hat, um zu schaffen.

Ich will nicht behaupten, dass es immer diese 4 Phasen zu beachten gilt. Es könnten auch mehr sein. Für mich ist da auch viel Symbolisches mit drin. Es ist eine Faustregel, die mehr Bewusstsein schaffen soll. Weggehen: die Grundsteinlegung von etwas Neuem zelebrieren. Sein: das Neue erforschen, formen, verändern, gestalten, erweitern und verbreiten. Ankommen: das Neue sein lassen, die Geburt zelebrieren, die den eigenen Tod bedeutet, tiefes Vertrauen empfangen. Sein: Platz für Neues schaffen, im Strom des Lebens fließen, den Blick erweitern, und alles für gut befinden. Und dann kann es wieder von vorn losgehen.

Das Leben hat nur dann ein Ende, wenn wir beschließen „endlich“ ankommen zu wollen, oder das Ankommen für immer vermeiden zu wollen. Lasst uns ewig leben!

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